Kommentar: Die übergangenen Sanitäter

In den vergangenen Wochen sieht, hört und liest man viel über unsere Spitäler, das Personal dort. Die Pfleger*innen, die Ärzt*innen, die in einer enorm schwierigen Situation 24/7 am Limit arbeiten, Unfassbares leisten, alles geben für jene, die von der aktuellen Krise gesundheitlich am stärksten betroffen sind und mit dem Leben ringen. Ihr seid diejenigen, die unser Gesundheitssystem am Laufen halten und einen Kollaps abwenden. Danke!

Wonach man vergeblich sucht, ist die Erwähnung der tausenden Sanitäter*innen, die tagtäglich hauptamtlich, ehrenamtlich oder im Zivildienst im Einsatz sind, um denen zu helfen, die gesundheitliche Hilfe suchen. Vielleicht weil sie keine Lobby haben. Vielleicht weil ihre Tätigkeit als Transportdienstleister geringeren Stellenwert hat. Vielleicht weil sie mit ihrer mageren Ausbildung keine Anerkennung verdienen. Vielleicht auch weil die Organisationen, für die sie tätig sind, mit sich selbst und anderem beschäftigt sind.

Und so schaut es in der Realität aus: Ausgestattet mit einem Crashkurs über die gesetzlich definierten 12,5 Tage Theorieausbildung (100 Stunden) und 14 Praktikumsdienste am Rettungs- oder Krankentransportwagen (160 Stunden) versorgen wir Herzinfarkte, Schlaganfälle oder eine verstauchte Zehe und arbeiten die zahllosen ärztlich angeordneten Transporte ab. Jetzt sind wir es auch, die in den Wohnungen der Infizierten Abstriche nehmen, schwer erkrankte Patient*innen ins Krankenhaus bringen, noch schwerer Erkrankte zwischen Krankenhäusern überstellen. Dabei setzen auch wir uns gesundheitlichen Gefahren aus.

Wir bekommen kontingentierte Schutzausrüstung zur Verfügung gestellt, die wir vorher nur vom Sehen kannten. Wir lernen von Videos, wie man Hygieneanzüge an- und auszieht. „Learning by doing“ bekommt eine neue Relevanz, wenn plötzlich auch die eigene Gesundheit am Spiel steht. Es gibt keine Checklisten, keine Übungen, keine Behelfe, nur den Hinweis auf Internetseiten, wo man sich informieren soll. Wir halten uns an die Vorgaben: FFP2 Maske, Schutzbrille und Handschuhe sollten uns schützen. Wir tragen Mund-Nasenschutz in allen Aufenthaltsräumen, halten Abstand. Und trotzdem: Kollegen sind krank geworden. Am Anfang der Krise wurden sie nicht getestet. Zumindest das hat sich geändert. Wenn man mit positiv getesteten Kollegen spricht, sagen sie, sie haben sich an alle Vorgaben gehalten. Das Virus bestimmt eben die Übertragung, nicht die Dokumente. Auch wenn dort zu lesen ist, es sei z.B. sehr unwahrscheinlich, dass das Virus durch die schmalen Spalten im Rettungsfahrzeug (ca. 3 Millimeter Kluft) in Fächer oder Laden geblasen wird. Uns bleibt zu hoffen, dass das Virus diese Dokumente kennt.

Wir hatten bisher speziell abgeklebte Covid-Transportfahrzeuge, teils sogar eigene Sanitätsteams. Jetzt sind wir alle Expert*innen und mit dem „Sanitätseinsatzwagen + Corona“ (SEW+C) im Einsatz. In der Realität bedeutet das: Wir transportieren erst einen infektiösen Covid-19 Patienten und 20 Minuten später eine immunsupprimierte Chemotherapie-Patientin im selben Fahrzeug. Dazwischen wischen wir nach bestem Wissen und Gewissen alle Flächen mit Desinfektionsmittel ab und lüften für fünf Minuten. Das sollte ausreichen – heißt es. Egal ob Herzinfarkt, Schlaganfall, gebrochener Oberschenkelhals oder jetzt auch Covid-19 Abstriche. Wir können alles. Nicht, weil wir so gut sind, sondern weil wir es nicht besser wissen.

Aber was ist die Alternative? Noch längere Wartezeiten? Menschen in Not, denen nicht mehr geholfen wird? Der Zusammenbruch der Teststrategien? Nein, die Alternative ist ein differenziertes, qualitativ hochwertiges, personell und die Ausrüstung betreffend gut ausgestattetes Rettungs- und davon getrennt betriebenes Krankentransportwesen. Die Alternative ist ein Schritt nach vorne, nicht einer zurück. Es ist einfach: Wir brauchen für Sanitäterinnen und Sanitäter in Österreich ein Upgrade. 

Wenn uns irgendjemand wahrnehmen und fragen würde „Was wollt ihr?“, so wäre das die Antwort: Wir wollen gesehen werden von den Verantwortlichen für Gesundheit. Wir wollen uns verstanden wissen in dem Bedürfnis, unsere Tätigkeit gut und auf einem hohen Niveau ausüben zu können. Mit viel mehr und einer umfassenderen Ausbildung, die internationalen Standards entspricht und auf Evidenz und neuesten Forschungserkenntnissen basiert, mit modernem und den Normen entsprechendem Equipment. Denn dann könnten wir auch einen noch viel wertvolleren Beitrag leisten in so herausfordernden Zeiten wie diesen. Wir könnten zum Beispiel in Schnittstellenbereichen der innerklinischen Versorgung tätig werden und das dortige Personal bei Engpässen entlasten.

Was wollen wir noch? Wir wollen von den Organisationen, für die wir tätig sind, nicht verheizt werden. Es fällt vielleicht nicht auf, weil es so viele von uns gibt und immer welche nachkommen. Menschlich ist das nicht. Es gibt die wenigen engagierten Einzelnen, die tagtäglich nicht nur Menschenleben retten, sondern auch das System. Sie springen ein, wo Vorbereitung systematisch verabsäumt wurde. Sie sorgen dafür, dass wir auch diese Krise durchtauchen werden. Die Verantwortlichen werden sich anschließend damit rühmen, sich gegenseitig auf die Schultern klopfen und die „Aufrüstbarkeit“ durch die unzähligen Freiwilligen medial feiern. Das ist die Macht und die Stärke der Organisationen. Es wird keine Erinnerung an die vielen misslichen Situationen geben, die vielen Kollateralschäden, die als Einzelschicksale verbucht und in Kauf genommen wurden. Es wird wieder kein Learning geben.

Unsichtbar bleiben all jene einst engagierten Sanitäter*innen, die sich zurückziehen. Weil sie gegen Mauern rennen, ausgebrannt sind und enttäuscht. Weil sie daran verzweifeln, wie dilettantisch das System ist und wie resistent gegenüber Lernprozessen und qualitativer Weiterentwicklung. Weil sie erfahren müssen, wie das Paradigma der Menschlichkeit für alle gilt. Nur nicht für die eigenen Mitarbeiter*innen.

Was wir wollen? Wir wollen gesehen und gehört werden. Wir wollen ein Upgrade. Nicht für uns, sondern für die Menschen und die Gesellschaft, die uns braucht.

*Der Text stammt von einem unserer Mitglieder.