Warum im Rettungsdienst keiner alt wird

7 Gründe, warum im Rettungsdienst keiner alt wird:
  • Die hohen Durchlaufquoten („fast in fast out“) sind ein Teufelskreis
  • Die körperliche und psychische Belastung im Rettungsdienst wird völlig unterschätzt
  • Es gibt im Rettungsdienst keine Entwicklungsmöglichkeiten
  • Kompetenz und Qualifikation hat im Regelrettungsdienst keinen Stellenwert
  • Die (Marketing-)Strategien der Rettungsdienstanbieter sind auf die Neugewinnung abgezielt, nicht darauf, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu binden
  • Der Rettungsdienst ist eine berufliche Sackgasse
  • Der präklinische Bereich als Ganzes stagniert seit vielen Jahren

Die vielen Ärztinnen und Ärzte, die in den nächsten 10 bis 15 Jahren in Pension gehen und die damit verbundenen Versorgungslücken – besonders im ländlichen Raum – füllen derzeit fast täglich die Schlagzeilen. Die sogenannten „Babyboomer“ der geburtenstarken 1960er und 70er Jahre stellen mit ihrer bevorstehenden Pensionierungswelle nicht nur das Sozialsystem auf die Probe, sondern reißen auch viele Löcher in die Arbeitswelt, quer über alle Berufssparten. Doch wo sind eigentlich die ganzen „alten Hasen“ im Rettungsdienst? Wie viele Rettungsdienstmitarbeiterinnen und -mitarbeiter kennt ihr, die über 60 sind? Wie viele über 55? Wie viele über 50? Oder anders gefragt: Warum wird im Rettungsdienst keiner alt?

Hohe Durchlaufquoten: Fast in fast out

Egal ob beruflich oder freiwillig, die Verweildauer im Rettungswesen in Österreich ist erschreckend gering. Auf vielen Dienstposten im Land bleiben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht länger als 2-4 Jahre, die „Dunkelziffer“ von inaktiven Freiwilligen (Sanitäterinnen und Sanitätern mit aktiver Berechtigung, die aber keine Dienste mehr machen) ist groß. Bei hohen Durchlaufraten ist es kein Wunder, dass man versucht, Ausbildungszeiten möglichst kurz zu halten; aber das ist ein anderes Thema. Die Strategien der Rettungsdienstanbieter zielen aufgrund der geringen Verweildauer eher auf die Neugewinnung ab, anstatt auf die Mitarbeiterbindung. Daraus entwickelt sich ein Teufelskreis, der mit gezielten Maßnahmen bewusst durchbrochen werden könnte. Eine weitere Folge hoher Durchlaufquoten ist, dass kaum Erfahrungswissen angesammelt und weitergegeben wird, was einer fundierten langfristigen Weiterentwicklung entgegenwirkt. Auch wenn aus Patientensicht Erfahrung und professionelle Reife wichtige Qualitätsmerkmale sind, stehen dem mitunter auch finanzielle Überlegungen der Anbieter entgegen: denn je länger ein Mitarbeiter beschäftigt ist, umso teurer wird er oder sie; je länger Freiwillige sich einbringen, umso eher steigt ihr Anspruch an das System. Hohe Durchlaufquoten wirken sich also in mehreren Belangen sogar positiv auf das Gesamtsystem aus, allerdings wohl zum Nachteil des Patientenwohls.

Körperliche Belastung

Der Rettungsdienst und vielleicht mehr noch der Krankentransport sind körperliche Schwerarbeit. Patientinnen und Patienten, die bis zu 120 kg oder gar mehr wiegen, werden meist ohne entsprechende hydraulische oder maschinelle Unterstützung vom Rettungsteam über Stiegenhäuser und Gehsteigkanten getragen, verladen, umgelagert und transportiert. Dass diese körperliche Anstrengung trotz Einweisungen im ergonomischen Heben und Tragen mittelfristig Spuren hinterlässt, liegt auf der Hand. Dazu kommt die Schichtarbeit mit Nachdiensten und ereignisbedingt völlig unregelmäßigen Ruhezeiten dazwischen. Die Tatsache, dass auch berufliche Sanitäterinnen und Sanitäter in Österreich dennoch nicht unter die Schwerarbeiterregelung fallen, ist wiederum ein eigenes Thema.

Psychische Belastung

Zur körperlichen Belastung kommt noch die psychische Belastung von Einsätzen dazu. Und die ist freilich ganz individuell. So reicht das Spektrum belastender Einsätze von den Umständen, in denen andere Menschen wohnen oder hausen, über Leuten, die sich nicht helfen lassen wollen, bis zu Bildern von verunfallten, kranken oder toten Kindern und Erwachsenen, die sich tief in das Gedächtnis einprägen. Auch wenn Einsätze einfach nicht gut laufen, die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen schwierig ist und der Rückhalt in den eigenen Reihen fehlt, wirkt sich das belastend aus. Obwohl die organisationsintern angebotene „Stressverarbeitung nach belastenden Einsätzen“ in manchen dieser Fälle zum Tragen kommt, bleiben viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgrund fehlender Netzwerke und nicht etablierter Inter- oder Supervision mit belastenden Eindrücken und offenen Fragen alleine. (Dass sich das auch auf die Lebenserwartung auswirkt, zeigt eine 2018 im „Prehospital Medical Care“ publizierte Studie, wonach die Selbstmordrate unter Rettungsdienstmitarbeitern mit 5,2 Prozent um 3 Prozent über der Normalbevölkerung liegt.)

Keine Entwicklungsmöglichkeiten

Der Rettungsdienst bietet für hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kaum Entwicklungsmöglichkeiten. Hat man alle Stufen der Ausbildung, die innerhalb der Organisation angeboten und anerkannt werden, durchlaufen, ist man in Österreich als „Notfallsanitäter mit der besonderen Notfallkompetenz Intubation“ mit insgesamt 940 Stunden Theorie und Praxisausbildung (entspräche gebündelt etwa einem halben Arbeitsjahr, wobei dazwischen eine gewisse Anzahl an Stunden im jeweiligen Ausbildungsstadium gesammelt werden muss) am Ende der beruflichen Möglichkeiten angelangt.

Kompetenzen schlagen sich nicht in der Verwendung nieder

Auch diese höchste Ausbildungsstufe sagt jedoch nichts über die Verwendung innerhalb des Systems aus, wo vielerorts keine Unterschiede der Besetzung oder Disponierung von Rettungsfahrzeugen nach Qualifikationen durchgeführt wird. So ist es durchaus üblich, dass Notfallsanitäter den Heimtransport eines Dialysepatienten durchführen, während weit geringer ausgebildete Rettungssanitäter zum Polytrauma oder Kindernotfall entsandt werden. Wer ständig unter seinen eigentlichen Qualifikationen und Möglichkeiten eingesetzt wird, was im Regelrettungsdienst und Krankentransport zu 90% der Fall ist, wird schnell frustriert, verliert Interesse und schlittert schlimmstenfalls in ein Boreout (das Gegenteil vom Burnout mit den gleichen Symptomen und Konsequenzen).

Berufliche Sackgasse

Wer Sanitäter wird, findet außerhalb der Rettungsdienstorganisationen zudem keine beruflichen Anknüpfungspunkte; und selbst innerhalb des Rettungswesens ist ein Wechsel extrem problematisch, weil die großen Rettungsorganisationen vielerorts ideologisch besetzt sind. So ist der Einstieg in den Beruf, der aufgrund der zu geringen Ausbildung gesetzlich nur als Tätigkeit anerkannt ist und deshalb keinem Berufsschutz unterliegt, eine Sackgasse. Wer kann, dreht also um und schlägt andere Wege ein. Ein Ausweg wäre hier neben der Etablierung eines Berufsbildes auch die Schaffung von Anknüpfungsmöglichkeiten für Sanitäterinnen und Sanitätern in anderen Gesundheitsberufen, etwa im Krankenhaus oder in Arztpraxen. Dass dem natürlich eine grundsätzlich andere Denkweise und damit auch Ausbildung zugrunde gelegt werden müsste, liegt auf der Hand.

Fehlende Weiterentwicklung des Tätigkeitsbereiches

Während sich der Rettungsdienst und die Notfallmedizin in allen Teilen der Welt in den vergangenen 40-50 Jahren rasant weitentwickelt hat, die Ausbildungsstandards entsprechend angepasst und die Ressourcen und Kompetenzen erweitert wurden, stagniert die Entwicklung in Österreich seit Jahrzehnten. Der Rettungsdienst wird zur Sisyphusarbeit, wo das bestehende Rettungsdienstpersonal stets neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem Rhythmus von 2-3 Monaten ausbildet und eine Weiterentwicklung immer weiter in Entfernung rückt. Die historisch gewachsenen Strukturen in Österreich mit zahlreichen mitunter sehr divergierenden Interessen der jeweils involvierten freiwilligen und beruflichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern machen das System behäbig.

Warum im Rettungsdienst keiner alt wird, liegt an vielen Faktoren. Einige davon wurden hier nur kurz angerissen. Wer weitere nennen möchte oder mit den Argumenten nicht zufrieden ist, ist herzlich eingeladen, seine oder ihre Sichtweisen in den Kommentaren einzubringen.


Beitragsbild: Edna Mitchell, 87, EMT